Vicat- und HDT-Verfahren

Hinter diesen wenig sagenden Bezeichnungen verbergen sich zwei Prüfmethoden für die Bestimmung der Wärmeformbeständigkeit von thermoplastischen Kunststoffen.

Grundprinzip der Verfahren

Thermoplaste zeichnen sich durch keine gute Formbeständigkeit in der Wärme aus. Sie zeigen keinen exakten Schmelzpunkt, der den Übergang von fest zu flüssig eindeutig markiert. Vielmehr erweichen Kunststoffe mit steigender Temperatur.

Für die Praxis sind die Temperaturen, bei denen Kunststoffe ihre Form ändern von großer Bedeutung. Wir benötigen Kenngrößen (Messzahlen) mit denen die Wärmeformbeständigkeit verschiedener Kunststoffen verglichen werden kann. Am häufigsten werden dafür zwei Kenngrößen ermittelt: die Vicat-Erweichungstemperatur (VST) und die Formbeständigkeitstemperatur (HDT).

Beide Verfahren beruhen auf dem gleichen Prinzip: Ein definiert belasteter Probekörper wird mit konstanter Aufheizgeschwindigkeit in einem Wärmeschrank bzw. Flüssigkeitsbad solange erwärmt bis seine Deformation einen bestimmten Wert erreicht. Die Temperatur, bei der diese vorgegebene Deformation auftritt, nennt man dann entsprechend Vicat-Erweichungstemperatur (VST) bzw. Formbeständigkeitstemperatur (HDT). Die in den Klammern genannten Abkürzungen stammen aus dem Englischen: VST=Vicat Softening Temperature und HDT= Heat Distortion Temperature.

Vicat-Verfahren

Beim Vicat-Verfahren (Abb. 1) verwendet man als Probekörper eine zylinderförmige Nadel von 1 mm² Querschnitt. Sie wird auf eine waagerecht liegende Kunststoffprobe aufgesetzt und mit 10 N bzw. 50 N belastet. Der Testaufbau wird in einem Medium eingetaucht und erwärmt.

Beim Erwärmen verändert sich die Temperatur linear mit konstanter Rate, die 50 °C/h oder 120 °C/h beträgt. Die Vicat-Erweichungstemperatur ist erreicht, wenn die Nadel genau 1 mm tief eingedrungen ist. Diese Temperatur kann als Ersatzgröße für den Schmelzpunkt gesehen werden.

                                                                                             Abb. 1 Vicat-Verfahren

Übrigens: Die Methode wurde nach Louis-Joseph Vicat (1786 – 1861) genannt, einem französischen Ingenieur, der gar nichts mit den Kunststoffen zu tun hatte. Mit seinen Arbeiten legte er Grundlagen für die Entwicklung von Zement und Kalkmörtel und entwickelte eine Reihe von Prüfmethoden für diese Stoffe. Seine Idee eines Nadelgeräts zur Prüfung von Mörtelproben wurde in die Kunststofftechnik zur Ermittlung der Wärmeformbeständigkeit übernommen. Den Namen „Vicat“ trägt auch ein französischer Zementhersteller, der von seinem Sohn 1853 gegründet wurde.

HDT-Verfahren

Beim HDT-Verfahren (Abb. 2) wird eine Kunststoffprobe mit einem Probekörper in einer Dreipunkt-Biegeanordnung belastet. Der Testaufbau wird ähnlich wie beim Vicat-Verfahren in ein Medium eingetaucht und erwärmt. Dabei wird die Temperatur linear mit konstanter Rate von 50 °C/h oder 120 °C/h erhöht. Die Formbeständigkeitstemperatur ist erreicht, wenn eine vorgeschriebene Durchbiegung (nach ISO-Normen eine Randdehnung von 0,2 %) auftritt.

Abhängig von der Biegebelastung werden nach ISO-Normen drei HDT-Verfahren und Kennwerte unterschieden. Die Wärmeformbeständigkeit HDT/A wird bei einer Biegebelastung von 1,8 MPa, HDT/B bei 0,45 MPa und HDT/C bei 8 MPa bestimmt. Deswegen muss man bei den Kennwerten in den Tabellen für Kunststoffe darauf achten, mit welchem HDT-Verfahren die Formbeständigkeitstemperatur bestimmt wurde, da sich diese Werte in der Regel unterscheiden.

Nicht anwendbar ist die HDT-Methode, wenn der Kunststoff zu weich ist, und sich bereits bei Temperaturen unterhalb von 27 °C zu stark verformt.

                                                                                            Abb. 2 HDT-Verfahren

Da die Wärme mit einer festgelegten Temperaturzunahme übertragen wird, spielt die Wärmeübertragung in den Probekörper bei beiden Prüfmethoden eine wichtige Rolle.

Typischerweise arbeitet man dabei mit einer Wärmeübertragungsflüssigkeit, in der Regel mit einem Silikonöl. Durch den guten Kontakt zwischen Probekörper und Übertragungsmedium werden Prüfergebnisse mit guter Vergleichsgenauigkeit erzielt. Daneben wurden in den letzten Jahren alternative Methoden zur Wärmeübertragung getestet. Beispielsweise wird der Probekörper zwischen zwei beheizten Platten durch Kontaktwärmeübertragung erwärmt.

Anwendbarkeit der beiden Verfahren

Zu bemerken ist, dass die beiden beschriebenen Verfahren sich auf eine kurzzeitige Temperatureinwirkung beziehen. In diesem Fall werden die zeitabhängigen Alterungsprozesse nicht berücksichtigt und die Kennwerte lassen keine Langzeitvoraussage zum Verhalten von Kunststoffen zu. Auch kann anhand dieser Werte keine Aussage über die „maximale Gebrauchstemperatur“ des Kunststoffes getroffen werden.

Die Vicat-Erweichungstemperatur VST und die Formbeständigkeitstemperatur HDT sind besonders wichtig für den Einsatz von technischen Formteilen aus Kunststoff. Die beiden Prüfverfahren werden meistens zur Herstellungskontrolle von Formmassen angewandt. Sie dienen aber auch der Beurteilung von ebenflächigen Formteilen, aus denen die Prüfkörper herausgearbeitet wurden.<<

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