Stereomikroskopie spielt in verschiedensten Prüfbereichen eine kaum zu überschätzte Rolle, und das bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts.
Warum sehen wir unsere Umgebung dreidimensional also „stereo“? Unser räumliches Sehen beruht auf der Tatsache, dass unsere beiden Augen einen Gegenstand aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln wahrnehmen und auf die Netzhaut abbilden. Das Gehirn ist in der Lage diese Winkeldifferenz (Konvergenzwinkel) in ein dreidimensionales (tiefenwahrnehmendes) Bild umzusetzen.
Bei Stereo-Mikroskopieren muss diese Fähigkeit erhalten bleiben. Das Zusammenspiel der optischen Komponenten muss also eine Winkeldifferenz aufweisen, die eine hohe Schärfentiefe gewährleistet.
Funktionalität
Dem Grundsatz folgend ist ein Stereomikroskop ist ein spezielles Lichtmikroskop, bei dem für jedes Auge ein getrenntes Bild einer Probe bereitgestellt wird. Beide Augen sehen die Probe daher aus einem etwas unterschiedlichen Winkel, so dass ein „Stereo-Effekt“ eintritt.
Dies ist auch der große Unterschied zu „normalen“ Mikroskopen, bei denen eine Probe senkrecht von oben betrachtet wird und nur ein flaches Bild ohne Tiefeneindruck erzeugt wird.
Abb. 1 Stereomikroskop a) schematischer Aufbau mit Abbildungen von Bruchflächen einer Kerbschlagprobe, b) modernes Gerät
So ein Doppel-Mikroskop hat der amerikanische Zoologe Horatio S. Greenough 1892 vorgeschlagen. Es wurde dann von der Firma Carl Zeiss in Jena gebaut. Auch heute werden Mikroskope nach dem „Greenough Prinzip“ erfolgreich eingesetzt. Sie liefern aufgerichtete Bilder sehr guter Qualität und sind preiswert.
Ein Greenough-Stereomikroskop verfügt immer über zwei getrennte Strahlengänge (Abb. 1a), die in einer Neigung von 10° bis 16° zueinander stehen. Diese Winkeldifferenz wird durch zwei in einer gemeinsamen Fassung befindlichen Objektive erzeugt. Abb. 1b zeigt ein modernes Stereomikroskop S9i von Leica mit einer bereits eingebauten Kamera.
Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass der Stereoeffekt ausschließlich bei direkter Betrachtung unter dem Mikroskop zu sehen ist. Mit einer Kamera aufgenommene Bilder sind immer zweidimensional, da dabei nur einer der der beiden Strahlengänge genutzt wird.
Schärfentiefe
Optische Systeme, so auch Stereomikroskope, haben physikalisch bedingt nur eine begrenzte Schärfentiefe. Da beim Greenough-Mikroskop die Strahlen stets mit einem festgesetzten Winkel auf das Objekt auftreffen, kommt es immer zu einem Schärfegradienten über das gesamte Bildfeld.
Schließt man ein Auge und schaut noch einmal durch das Mikroskop, kann man feststellen, dass das Bild nur in der Mitte einen optimal scharfen Bereich hat. Links und rechts vom Zentrum zeigt sich eine Unter- bzw. Überfokussierung, also eine Unschärfe. Mit steigender Vergrößerung des Mikroskops wird dieser Bereich immer kleiner.
Da die beiden Objektive des Stereomikroskops dicht nebeneinander liegen, sind keine hohen Aperturen (max. 0,12) möglich und folgend auch keine hohen Vergrößerungen. Stereomikroskope arbeiten üblicherweise mit Vergrößerungen unterhalb 100-fach. Aufgrund der bei hohen Vergrößerungen rasch abnehmenden Schärfentiefe ist ein räumliches Bild nur bei diesen vergleichsweise geringen Vergrößerungen sinnvoll. Das „klassische“ Durchlichtmikroskop bietet dagegen eine Vergrößerung bis 1000-fach. Stereomikroskope verfügen zumeist über ein Zoomsystem für einen kontinuierlichen Vergrößerungswechsel.
Aufbau eines Stereomikroskops
Im Unterschied zu einer Lupe besitzt ein Stereomikroskop eine zweistufige Vergrößerung durch Objektiv und Okular (Abb. 1a). Das nächste Unterscheidungsmerkmal zwischen Stereo- und Durchlichtmikroskopen ist der Arbeitsabstand. Es erscheint relativ logisch, dass je höher man vergrößert, desto näher muss man an den Gegenstand heran. Deshalb variiert der Abstand zur Probe bei Durchlichtmikroskopen zwischen 10mm bis 0,1mm, während Stereomikroskope einen Abstand von z.T. über 200mm gewährleisten.
Ein spezielles Prismen- oder Spiegelumlenksystem (vgl. Abb. 1a) richtet das Bild auf, so dass es in Höhe, Seite und Tiefe in der gleichen Lage wie die Probe gesehen wird. Dies ist nötig, weil wir beim Stereomikroskopieren in der Regel an Proben mit der Hand oder mit Hilfe von Werkzeugen manipulieren. Außerdem bewirkt das Umkehrsystem eine Abknickung des Strahlenganges mit dem Ziel, einen ergonomisch günstigen Einblickwinkel von etwa 30° bis 60°, meistens 45° (vgl. Abb. 1b), zu erhalten.
Die Beleuchtung hängt von dem Modell des Stereomikroskops ab. So stehen beispielsweise bei dem dargestellten Leica-Mikroskop (Abb. 1b) drei Möglichkeiten zur Verfügung: Seitlich angeordnete Leuchte, die eine typische einseitige steilschräge Auflicht-Dunkelfeldbeleuchtung ist. Für die überwiegende Zahl aller Anwendungsfälle ist diese Beleuchtungsart optimal, da es sich um Proben mit strukturierter Oberfläche handelt. Der Vertikalilluminator dient zur Erzeugung von senkrechtem Auflicht, das zur Ausleuchtung von Bohrungen und stark zerklüfteten Oberflächen geeignet ist.
Die Flächenleuchte erzeugt eine weitgehend diffuse Objektausleuchtung und vermeidet damit Schatten- und Reflexbildung bei stark strukturierten oder gekrümmten Objektoberflächen. Sie besteht aus einer möglichst großflächigen Matt- oder Opalscheibe, die beleuchtet wird. Oftmals haben die modernen Greenough-Mikroskope bereits eine fest eingebaute Schnittstelle für die Anbringung einer Kamera; oder wird eine Kamera direkt verbaut (Abb. 1b). Mikroskopisches Zeichnen ist mit Hilfe eines Zeichenokulares möglich.
An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass bei den Stereomikroskopen zwei Konstruktionsprinzipien angewandt werden. Das Greenough-Mikroskop mit zwei Objektiven ist der ältere Bautyp. Der andere Typ, ist ein Fernrohr-Stereomikroskop mit nur einem Objektiv. Der Greenough-Typ definiert sich dadurch, dass er immer ein komplettes System bildet. Die optische Einheit kann nicht mittels Modulen verändert bzw. ergänzt werden, da das Mikroskop eine sogenannte endliche Optik besitzt.
Anwendung von Stereomikroskopen
Stereomikroskope werden in vielen Bereichen von Lehre, Forschung und Technik angewandt, aber auch für Freizeitbeschäftigungen. In Abb. 2 sind drei Beispiele für die vielfältige Anwendung eines Greenough Stereomikroskops gezeigt.
Abb. 2 Stereomikroskopie a) Porenstruktur eines Aluminium-Schaumes, b) Verschleiß einer beschichteten Wendeschneidplatte, c) Fräser für Aufbereitung von Implantaten (die angegebenen Vergrößerungen gelten nur für die direkte Beobachtung am Mikroskop)
Die Betrachtung der feinen Porenstruktur von Metallschäumen (Abb. 2a) ist ein Beispiel für die Qualitätskontrolle in der Fertigungstechnik. In der Schadensanalyse bedienen wir uns sehr oft mit einem Stereomikroskop, um die Schadensursachen zu ergründen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Beurteilung des Verschleißes bei den i. d. R teuren Wendeschneidplatten (Abb. 2b), die danach entsprechende Gegenmaßnahmen ermöglicht. In der feinmechanischen (Abb. 2c) und elektronischen Industrie werden Stereomikroskope eingesetzt, wo sie auch an Maschinen angebracht werden, um Fertigungsprozesse zu überwachen.
Viele Einsatzgebiete für Stereomikroskopie finden sich in der Biologie, Medizin und der Zahntechnik. Die physiologischen Arbeiten von Hans Spemann, für die er 1935 den Nobelpreis enthielt, wurden erst durch das Stereomikroskop ermöglicht. Weitere Einsatzgebiete sind Geologie, Paläontologie, Mineralogie, sowie Materialuntersuchungen verschiedenster Art, wie auch Restaurierungsarbeiten in Archäologie und Kunst. Eine wichtige und auch wohl bekannte Rolle spielt die Stereomikroskopie in der Kriminalistik bei der Spurenuntersuchung.
Über die Stereomikroskopie und ihre Anwendungen könnte man problemlos ein ganzes Buch schreiben.<<